Urkundenlehre
und die bisher unübersetzte Urkunde von 1253


Urkundenlehre

„Es war sehr spannend, alte Urkunden in den Händen halten zu dürfen und dabei einiges über die Dokumente zu erfahren.“ „Das Lesen der Urkunden war zwar kompliziert, aber auch interessant, denn die mittelalterliche Schrift lesen zu können, ist etwas sehr Besonderes.“ „Dass es auch in heutiger Zeit noch sehr viele unübersetzte Dokumente gibt, ist sehr überraschend, aber es ist auch aufregend, den Inhalt dieser erstmals herauszufinden.“ 
Diese Erfahrungen und Eindrücke sammelten wir, das P-Seminar „Geheimnisse in lateinischen Urkunden. Spurensuche im Kloster Seligenthal“ auf zahlreichen Exkursionen in das Staatsarchiv Landshut, wo wir in die Welt der mittelalterlichen Urkunden und der Urkundenlehre eingeführt wurden. Anhand verschiedener Urkunden lernten wir das Transkribieren und wurden dabei unterstützt, eine im Zusammenhang mit dem Kloster Seligenthal stehende lateinische Urkunde auszuwählen, die zuvor unübersetzt war und an die wir uns wagen konnten.  
 
Aber was ist Urkundenlehre eigentlich, was bedeutet Transkribieren und warum haben die Schriftwerke einen so hohen Stellenwert, dass sie über Jahrhunderte hinweg aufbewahrt werden? Die Urkundenlehre beschäftigt sich mit der Untersuchung von schriftlichen und rechtserheblichen Sachverhalten. „Transkribieren“ beschreibt den Vorgang, veraltete Schrift in die heutige zu übertragen, sodass nicht nur Historiker auf den Inhalt Zugriff haben, sondern dass die Rechtsgeschäfte auch in verständlicher Schrift überliefert werden, da die Urkunden oftmals wichtige Ereignisse dokumentieren. Man unterscheidet drei verschiedene Arten von Urkunden: Königs-, Papst- und Privaturkunden. Während Königsurkunden die Rechtsvorgänge von Königen und Kaisern, Papsturkunden die von Päpsten dokumentieren, geben sog. Privaturkunden den Inhalt rechtlicher Abläufe von geistlichen oder weltlichen Herren, wie zum Beispiel von Fürsten oder Herzögen wieder.  

Urkunde mit rotem Wachssiegel
Urkunde mit rotem Wachssiegel

Die Beglaubigungsmerkmale einer Urkunde sind zum einen ein Siegel und zum anderen eine Unterschrift, welche die Echtheit von Urkunden bestätigen. Ein Siegel macht eine Urkunde rechtsgültig und bezeugt deren Echtheit. Ab dem 12. Jahrhundert werden vor allem rote Wachssiegel verwendet. Diese Farbe ist charakteristisch für die Beglaubigung durch Päpste, Kaiser oder Universitäten. Neben Bienenwachssiegeln kamen auch Lack- oder Bleisiegel zum Einsatz. All dies gehört neben dem Beschreibstoff zu den äußeren Merkmalen einer Urkunde, die man nur am Original der Urkunde untersuchen kann. 
 
Parallel dazu gibt es auch innere Merkmale einer Urkunde, wie den formelhaften Aufbau, den Rechtsinhalt und die Schrift. Ein Erkennungszeichen der Urkunde ist die Handschrift mit Verzierungen und verschiedenen Kürzungen häufig vorkommender Wörter. Der Aufbau ist bei den meisten mittelalterlichen Urkunden sehr ähnlich oder gleich, wie bei einer Formel. Dieser gliedert sich in „Protokoll“, in dem sich eine Einleitungsformel findet und die Urheber genannt werden, in „Kontext“, also die Darstellung des Rechtsgeschäfts, und in das „Eschatokoll“, das Schlussformeln und eine Beglaubigung beinhaltet. 


Die Urkunde des Hartwig aus dem Jahre 1253

Dass wir uns mit Urkunden des Klosters Seligenthal beschäftigten, versprach bereits der Name unseres P-Seminars.  Dabei durften wir eine lateinische Urkunde aus dem Jahr 1253 erstmals übersetzen, deren Inhalt zuvor noch unbekannt war. Die Urkunde lag bei den Arbeiten an der Edition in den Monumenta Boica im 18. Jahrhundert noch vor, bei der 1893 in den Verhandlungen des Historischen Vereins von Niederbayern veröffentlichten Edition der Urkunden war sie nicht mehr vorhanden. Sie scheint im Zuge der komplizierten Überlieferungsgeschichte des Seligenthaler Archivs verloren gegangen zu sein.  
 
Da die umfangreiche Urkunde in Mittellatein (Latein des Mittelalters) verfasst wurde, war es eine Herausforderung für uns, diese zu übersetzen. Aus dem Unterricht waren wir v. a. mit dem klassischen Latein der Antike vertraut, weshalb der Prozess des Übersetzens fast ein halbes Semester dauerte: 
„Auch wenn uns das Übersetzen der Urkunde einiges an Nerven gekostet hat, denn die Wörter waren teilweise nicht eindeutig zu erkennen, hat es sehr viel Spaß gemacht, und wir sind sehr stolz auf unsere als Team geleistete Arbeit“, meinte eine Mitschülerin. „Es war sehr interessant das, was man im Lateinunterricht lernt, auch anderweitig anwenden zu können. Allerdings war es auch kompliziert aufgrund der mittelalterlateinischen Begriffe und der Satzlänge, die oft eine halbe Seite betrug“, äußerte sich eine andere Schülerin des P-Seminars zu unseren Erfahrungen mit dem Übersetzen unserer Urkunde. 
 
Die Privaturkunde handelt von einer Schenkung, die laut „Protokoll“ von Herzog Otto von Bayern und dessen Söhnen Heinrich und Ludwig von Bayern, also von weltlichen Herren, bestätigt wird. Im „Kontext“ wird erklärt, dass der Magister Hartwig, Leibarzt der bayerischen Herzöge, der zur Zeit der Gründung Seligenthals 1232 am herzoglichen Hof in Landshut lebte, sein Haus und seinen Hof an das Kloster Seligenthal übergibt. Diese sind zuvor im Besitz des herzoglichen Kaplans Gottfried gewesen. Im Gegenzug für die Schenkung soll zu Lebzeiten Hartwigs am Tag der Bekehrung des Apostel Paulus (25. Januar) ein jährlicher Gottesdienst für ihn gehalten werden. Zusätzlich wird beschlossen, dass nach dem Tod des Stifters sein Jahrtag am Tag von Mariä Verkündigung (25. März) gefeiert werden soll.  
 
Ferner werden in der Urkunde die genauen Bedingungen der Schenkung besprochen. So zum Beispiel, dass die Schwestern und Brüder des Klosters Seligenthal zur Unterstützung, dass sie den Hof annehmen, aus dem Zins des Hauses jährlich zwölf Langschillinge erhalten, und dass der Magister Hartwig zu seinen Lebzeiten jährlich einen halben Eimer Wein (ca. 32 Liter) für das Kloster spendet. Abschließend im „Eschatokoll“ der Urkunde findet sich eine Beglaubigung Herzog Ottos von Bayern, der die Urkunde mit der Befestigung seines Siegels rechtskräftig macht, ebenso wie die Datierung zum 29. Mai 1253.  

Übersetzung der Urkunde von 1253:

Übersetzung: P-Seminar Latein 2020/22 
Sprecherin: Vanessa Kuffer 


Vanessa Kuffer und Eva Stempel